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Die soziale Dimension

Nachhaltigkeitsdiskussionen kreisten in der Immobilienwirtschaft bislang meist um das Thema Umwelt und Energieeffizienz. Jetzt rückt zunehmend das S in ESG in den Blick. Viele Marktteilnehmer warten nicht auf Vorgaben aus Brüssel und werden selbst aktiv

Die soziale Dimension

Nachhaltigkeitsdiskussionen kreisten in der Immobilienwirtschaft bislang meist um das Thema Umwelt und Energieeffizienz. Jetzt rückt zunehmend das S in ESG in den Blick. Viele Marktteilnehmer warten nicht auf Vorgaben aus Brüssel und werden selbst aktiv.

Ein Gewerbepark wie viele, könnte man meinen: An der Autobahn zwischen Prag und der deutschen Grenze gibt es Industriegebäude, Logistikhallen, weitläufige Parkplätze. Doch etwas ist anders hier, nahe der tschechischen Stadt Bor. Es gibt ein Clubhaus, in dem man auch essen kann. Preiswerte Mini-Apartments für Pendler mit langer Anfahrt. Grün-, Sport- und Spielflächen, darunter ein Basketballparcours. „Den Mietern und ihren Mitarbeitern bedeutet das viel. Den Investoren gefällt es auch“, sagt Jan-Evert Post, Head of Funding and Investor Relations beim niederländischen Unternehmen CTP, das das Areal entwickelt hat und betreibt. 

Über 100 Industrie- und Logistikparks hat CTP im Portfolio, die soziale Infrastruktur wird dabei immer wichtiger. „20 bis 25 Prozent unserer Parks werden in den nächsten Jahren so ausgestattet, vor allem die größeren“, kündigt der Manager an. Nachhaltigkeit zählt, auch wegen der Börsennotierung des Unternehmens. „In nahezu jedem Gespräch mit Investoren ist ESG ein Thema“, sagt Post. ESG, das steht für Environment (Umwelt), Soziales und gute Unternehmensführung. „Die Energiebilanz unserer Gebäude ist bereits sehr gut. Jetzt kümmern wir uns zunehmend um soziale Aspekte.“

Bisher hat sich die Diskussion um Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft vor allem auf die ökologische Dimension konzentriert, jetzt geht es immer mehr auch ums Soziale. „Investoren wenden sich dem Thema verstärkt strategisch zu“, bestätigt Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft (ICG). Das hat zwei Gründe: Soziale Eigenschaften sind ein Differenzierungsmerkmal, das am Markt gut ankommt und tendenziell den Wert einer Immobilie erhöht. 

Die Autorin: Christine Mattauch

Datum: März 2022

Inhaltsübersicht

Soziale Nachhaltigkeit rückt in den Fokus und wird als Chance verstanden

Während verbindliche Vorgaben derzeit noch fehlen, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Europäische Kommission­ für die soziale Taxonomie Kriterien beschließt. Erste Hinweise auf die Regeln lieferte im Juli die EU-Plattform für nachhaltige Finanzen, ein Beratergremium der Kommission. Demnach wird es, in Anlehnung an die Umwelttaxonomie, Kriterien geben, die Fonds erfüllen müssen, wenn sie sich als nachhaltig bezeichnen wollen.

Das S in ESG

 

"Der soziale Wert umfasst ökologisches, wirtschaftliches und soziales Wohlergehen und versteht jedes dieser Elemente im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen."

  • Quelle: Framework for Defining Sociale Value, UK Green Building Council, 2021

Ein Unterschied wird sein, ob sie entsprechende Merkmale lediglich erfüllen (Artikel 8 der Offenlegungsverordnung) oder aktiv Nachhaltigkeitsziele verfolgen (Artikel 9). Neben Prozessen in den Unternehmen werden die sozialen Qualitäten von ­Immobilien im Fokus stehen – je nach Nutzungsart eine Herausforderung. „Manche Assetklassen sind dem Thema näher als andere“, sagt Eickermann-Riepe. Dabei verstärkt Brüssels Initiative einen bereits bestehenden Trend: Investoren, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind, betrachten soziale Nachhaltigkeit als Chance. „Viele unserer Initiativen blieben früher unter dem Radar der Öffentlichkeit. Wenn wir uns heute sozial engagieren, wird dies im Zuge der gesamtgesellschaftlichen höheren Aufmerksamkeit für die Nachhaltigkeitsdiskussion stärker wahrgenommen“, so Volker Noack, Geschäftsführer der Union Investment Real Estate GmbH. „Wir sollten nicht immer auf den Gesetzgeber warten, sondern zeigen, wie viel schöpferische Kraft in der Immobilienwirtschaft steckt“, sagt auch Jens Böhnlein, Global Head of Asset Management and Sustainability bei Commerz Real. „Über das S können die Menschen Vertrauen zu uns fassen. Es liegt in unserem eigenen Inte­resse, uns hier positiv zu positionieren.“

Eine Chance dazu sehen Anleger zum Beispiel im Segment bezahlbarer Wohnraum. So kaufte das Münchner Unternehmen Wealthcap im Dezember 115 Apartments für Auszubildende und Studenten, ausdrücklich mit der Zielsetzung, ihnen in der teuren Bayern-Metropole preiswerte Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Nuveen arbeitet Brancheninformationen zufolge an Strategien für wirkungsorientierte Fonds nach Artikel 9, Zielgruppe: Menschen mit Handicap. Catella platzierte im vergangenen Jahr einen Fonds für „Immobilien mit sozialer Verantwortung“. 

Erster Ankauf: ein „Generationenquartier“ in Bielefeld. Auch Industria Wohnen hat mit „Wohnen Deutschland VII“ einen offenen Spezialfonds im Programm, der ausschließlich in nachhaltige und soziale Projekte investiert. Angestrebt wird eine Ausschüttungsrendite von 3,75 Prozent. Für viele Investoren sei das attraktiv, sagt Industria-Geschäftsführer Arnaud Ahlborn. „Sie erhalten im Gegenzug eine sehr hohe Einnahmesicherheit.“ Und sichern sich einen Beitrag für die eigene ESG-Strategie.

Unter sozialen Gesichtspunkten ist auch geförderter Wohnraum attraktiv

Mit der Sozialorientierung steigt die Nachfrage nach geförderten Wohnungen, die unter Profis lange als unattraktiv galten. GBI aus Erlangen war 2016 einer der ersten Developer, der Sozialwohnungen als investmentfähiges Produkt gestaltete. Jetzt könnte das Segment aus der Nische herauswachsen. „Wir haben in den vergangenen Jahren Projekte im Umfang von rund 300 Millionen Euro verkauft und ebenso viel in der Pipeline“, sagt GBI-Vorstand Simon Hübner. „ESG ist für die Nachfrage ein massiver Treiber.“ Auch Sozialimmobilien wie Seniorenheime, Schulen oder Kindergärten sind unter diesem Aspekt gefragt. Warburg-HIH legte beispielsweise 2020 den Spezialfonds „Zukunft Invest“ auf, der vor allem in Kitas investiert. Carsten Demmler, Geschäftsführer von HIH Invest Real Estate, nennt es ein „kleines, aber marktlogisches Produkt, das den Nerv unserer institutionellen Investoren getroffen hat“. Renditeorientierung stehe dem nicht entgegen: „Kitas sind ein krisenfestes Investment.“ Mietverträge hätten eine lange Laufzeit, die Betreiber seien bonitätsstark und ihre Verpflichtungen häufig durch Garantien der öffentlichen Hand abgesichert. Bei Office- und Gewerbeimmobilien ist der Bezug zum Sozialen weniger offensichtlich. Handlungspotenzial gibt es aber auch hier. 

Soziale Ansätze für unterschiedliche Nutzungsklassen vergleichbar machen

BNP Paribas REIM beschreibt es im hauseigenen „ESG Action Plan 2021 bis 2025“ so: „Gesundheit und Wohlbefinden der Mieter verbessern, barrierefreie Zugänge schaffen, nachhaltige Mobilität anbieten“.

Auch Vertragsgestaltung kann ein Ausgangspunkt sein: Halten Mieter und Auftragnehmer gegenüber ihren Beschäftigten grundlegende Sozialstandards ein? Oder welchen Beitrag leistet eine Immobilie zur Infrastruktur, worin liegt der Mehrwert eines Gebäudes für die An- und Bewohner? „Gebäude werden noch zu selten im Kontext gesehen“, sagt Eickermann-­Riepe. Als gelungenes Beispiel nennt die Expertin das Quartiersmanagement in der Hamburger Hafencity. Der Kölner Entwickler Pandion zeigt einen anderen Ansatz: Er überlässt Künstlern Abrissgebäude und Brachen kostenfrei zur Zwischennutzung und subventioniert Neubauflächen. „Als Entwickler verstehen wir uns als wichtiger Bestandteil dessen, wie eine Stadt geprägt wird“, sagt Pandions Niederlassungsleiter in Berlin, Mathias Groß.

In Mainz entwickelt Industria Wohnen ein neues Wohnquartier. 25 % der Wohnungen werden öffentlich gefördert und für unter 8 €/m² angeboten.

Wie können so unterschiedliche Ansätze vergleichbar gemacht werden? Zentrales Ziel der Taxonomie ist, den Anlegern beim Thema Nachhaltigkeit Transparenz zu verschaffen. Im Auftrag des ICG hat das Real Estate Management Institute (REMI) der EBS Universität ein Messmodell entwickelt. Es bewertet Projekte anhand ihrer individuellen Nachhaltigkeitsziele und macht sie durch ein Punktesystem vergleichbar. „Das Ziel ist, dass Investoren es selbst nutzen können“, sagt REMI-Leiterin Kerstin Hennig. Wie aufwendig das sei, hänge von der Datenqualität ab. Ob sich das Modell durchsetzt, wird die Zeit zeigen. Aber: Ein Anfang ist gemacht. •

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