• Magazin
  • English

Highlights

Mehr Wildnis wagen

Noch ist Biodiversität ein Nischenthema in der Immobilienwirtschaft. Doch das ändert sich gerade. Denn Eigentümer integrieren verstärkt Arten- und ­Naturschutzmaßnahmen in ihre Nachhaltigkeitsstrategie und Investoren achten ­zunehmend auf entsprechende Informationen.

Mehr Wildnis wagen

Noch ist Biodiversität ein Nischenthema in der Immobilienwirtschaft. Doch das ändert sich gerade. Denn Eigentümer integrieren verstärkt Arten- und ­Naturschutzmaßnahmen in ihre Nachhaltigkeits-strategie und Investoren achten zunehmend auf entsprechende Informationen.

Immobilien gelten gemeinhin nicht als förderlich für Flora und Fauna, weil ihr Bau enorme Ressourcenmengen benötigt und der Bauprozess erhebliche Umweltbelastungen durch Lärm, Staub und Chemikalien verursacht. Darüber hinaus versiegeln sie Flächen, wodurch wichtige Bodenfunktionen, wie Wasserdurchlässigkeit und Bodenfruchtbarkeit, verloren gehen. Das hat massive ökologische Auswirkungen.

Einerseits haben CO2-speichernde Pflanzen und wichtige Bestäuberinsekten auf bebauten Flächen keinen Lebensraum, andererseits entsteht in ­Ballungsräumen ein Stadtklima, das durch erhöhte Lufttemperaturen im Vergleich zu ­naturbelassenen Räumen geprägt ist. Zudem versickert Regenwasser aufgrund der Bodenversiegelung nur schwer und muss über Kanalsysteme abgeleitet werden. Bei Starkregen ist das fatal. Denn die Rohre fassen die Wassermengen meist nicht, weshalb Rückstauungen entstehen, in deren Folge es zu Überflutungen kommen kann.

Biodiversität verringert die Risiken von Naturkatastrophen

Laut einer Prognos-Studie im Auftrag des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministeriums beliefen sich die durch Extremwetterereignisse zwischen den Jahren 2000 und 2021 verursachten Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen oder Ertragsverluste in Forst- und Landwirtschaft sowie die indirekten Schäden, wie verringerte Arbeitsproduktivität, auf 145 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2050 könnten die Kosten, je nach Verlauf des Klimawandels, auf das Zwei- bis Sechsfache steigen. Würden Lebensräume für Pflanzen und Tiere auf versiegelten Flächen geschaffen, könnte das die lokale Artenvielfalt fördern. Die dadurch entstehende größere Biodiversität trüge wiederum dazu bei, das Risiko von Naturkatastrophen wie Überflutungen zu verringern. Zugleich wäre das ein Beitrag zum Klimaschutz, denn Pflanzen absorbieren CO2 und reduzieren somit Treibhausgase.

 

Die Autorin: Dagmar Hotze

Datum: Oktober 2024

Inhaltsübersicht

Ökologisch wertvolle Blühstreifen umgeben Lagerhallen und Büroobjekte

Vorreiter bei der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen sind Eigentümer, Entwickler und Verwalter von Logistikimmobilien und Businessparks. Beispielsweise entwickelte die belgische VGP Gruppe, die Objekte an über 100 Standorten in Europa – 39 davon in Deutschland – im Bestand hält, bereits 2020 mit einem Biologen eine Biodiversitätsstrategie, auf deren Basis das börsennotierte Unternehmen in seinen Anlagen und ringsum auf gut 54 Hek­tar Biotope anlegte und mehr als 4.000 Bäume pflanzte. So entstand neben dem VGP Park München etwa eine großzügige Ausgleichsfläche mit Blühstreifen, Trockenrasen und Teichen, auf der sich die gefährdete Feldlerche ansiedelte.

Entwicklungsprojekte durchlaufen bei VGP zusätzlich zu einer Due-Diligence-­Prüfung einen Biodiversitäts-Check. Anschließend erstellt ein Ökologe einen Aktionsplan für die ermittelte biologische Vielfalt, der darauf abzielt, alle Auswirkungen des Projekts auf die örtliche Natur zu vermeiden und zu verringern, und empfiehlt Maßnahmen, etwa umweltzertifizierte Baumaterialien zu verwenden und Fassaden vorteilhaft für Vögel zu gestalten. Überdies sind in zahlreichen Gebäuden Wasserspar- und Rückhaltetechniken installiert. Einige Lagerhäuser fangen bis zu 105.000 Kubikmeter Regenwasser vor Ort auf.

„Wir sind entschlossen, unsere Bemühungen fortzusetzen und neue Projekte in Angriff zu nehmen, die eine noch größere Wirkung haben werden“, sagt Jan Van Geet, Geschäftsführer der VGP Gruppe. Das Engagement geschieht aus gutem Grund. Denn der Druck seitens Umweltverbänden und Anwohnern auf die Logistikbranche, nachhaltigere Flächennutzungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen, steigt.

Je relevanter Biodiversität im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD-Richtlinie (CSRD steht für Corporate Sustainability Reporting Directive, siehe Kasten) und von ESG-Bewertungen für Immobilienunternehmen wird, desto wichtiger werden valide Daten. Hier ist vieles erst in den Anfängen.

 

Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)

 Die CSRD gibt vor, dass Unternehmen bis 2030 ihre Auswirkungen auf und ihre Abhängigkeiten von Biodiversität messen und berichten – und zwar unabhängig von einer Börsennotierung und dem bisherigen Schwellenwert von 500 Mitarbeitern. Die Verpflichtung wird erstmals umgesetzt mit der europäischen Norm ESRS E4 (European Sustainability Reporting Standards).Von den insgesamt 1.178 Datenabfragen in der ESRS beziehen sich allein 119 auf Biodiversität und Ökosysteme.

Bislang gibt es wenig Lösungen, ebenso fehlt es an Transparenz

„Einerseits fehlen einheitliche Messmethoden, andererseits vergehen mitunter Jahre, bis Ergebnisse messbar sind“, so Malte Glatthaar, Geschäftsführer der Firma Swarmlab, die auf CSR-Dienstleistungen für Immobilienunternehmen mit dem Schwerpunkt Biodiversität spezialisiert ist. Der börsennotierte Projektentwickler Instone Real Estate nutzt testweise den seit 2023 verfügbaren Biodiversitätsrisikofilter der Umweltschutzorganisation WWF. „Das Tool ermöglicht uns, Risiken in Verbindung mit biologischer Vielfalt auf Objektebene zu bewerten, woraus wir Vermeidungsmaßnahmen ableiten, die in den Planungsprozess mit einfließen“, erklärt Hannah Viergutz, Referentin Nachhaltigkeit bei Instone Real Estate. Ein weiteres Instrument, mit dem Unternehmen ihren Biodiversitätsfußabdruck ermitteln können, ist der Global Biodiversity Score, erarbeitet von CDC Biodiversité, einer Tochter der französischen nationalen Förderbank Caisse des Dépôts et Consignations, in Kooperation mit zehn Finanzinstituten und 25 Unternehmen, auf Basis der Science Based Targets for Nature. Zu den bisherigen Anwendern gehören der Ölkonzern Total und der Agrarriese Cargill. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Sensorik und künstlicher Intelligenz, der das Messen und Analysieren vereinfachen würde, noch in der Erprobung ist.

Forschungsprojekt zum Einsatz von autarken Sensoren

Der deutschlandweit größte öffentliche Versicherer, der Konzern Versicherungskammer, dem die markant begrünte Calwer Passage in Stuttgart gehört, startet demnächst mit der Forschungseinrichtung Steinbeis Innovation ein einjähriges Projekt, bei dem Temperatur, Strahlung und Feuchte rund um das Bürogebäude mit kleinen, autarken Sensoren gemessen werden, um die Auswirkung der ­Fassaden- und Dachbegrünung auf das Mikroklima festzustellen. Volkswagen Immobilien möchte ebenfalls den Grad und Umfang der seit 2022 von einem Biologen begleiteten Biodiversitätsprojekte in seinen Quartieren mit rund 9.500 Wohnungen messen und beabsichtigt, dafür ein intelligentes System zu entwickeln. Die Bereitschaft, mehr Wildnis zu wagen, ist seitens der Immobilienwirtschaft also vorhanden. Was fehlt, sind standardisierte Verfahren, die die Wirkung von ­umgesetzten Maßnahmen messen, damit der Nutzen für alle Stakeholder wie ­Anleger und Mieter sichtbar gemacht werden kann. •

 

Die belgische VGP Gruppe schuf neben dem VGP Park München eine Ausgleichs­fläche mit Blühstreifen, Trockenrasen und Teichen. Dank der Biodiversitätsstrategie wurden europaweit bereits 54 Hektar Biotope angelegt und mehr als 4.000 Bäume gepflanzt.
Nach oben

Weitere Seiteninformationen

So erreichen Sie uns

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Wir informieren Sie monatlich über News, Transaktionen, Studien, Events und redaktionelle Beiträge aus unserem raum und mehr-Magazin.

Regionale Seiten

Erfahren Sie mehr über unsere Immobilienprofile an den Standorten Amerika, Frankreich, Großbritannien und Österreich

Ein Service der Union Investment Real Estate GmbH

Kein Immobilienkunde? Entdecken Sie weitere Lösungen für jeden Anlegertyp